Beziehung
Weil jeder gleichwertig wichtig istvon Manuela
„Grenzen setzen“ in zwischenmenschlichen Beziehungen?
Die Liste der Momente, in denen es zwischen Eltern und Kind zu einem Konflikt kommt, ist lang und der Grund alltäglicher Auseinandersetzungen:
- Dein Kind fummelt dir am Ohr beim Einschlafen, du hältst es nicht mehr aus
- Deine Kinder schreien sich an, es ist irre laut und du hast Schmerzen in den Ohren
- Dein Kind will nur noch TV gucken und es macht dich rasend
- Dein Kind will ständig seinen Willen durchsetzen und scheint unkooperativ
- Dein Kind will wieder mit dir spielen, aber du hast weder Kraft noch Lust dazu
- Dein Kind spielt mit dem Essen, matscht und wirft die Schüssel zu Boden
- Dein Kind beschimpft dich und die Großeltern
- Dein Kind schmeißt etwas um, zu Boden, steigt drauf (gerne auch mal die Feuerwanze oder Ameise)
- Dein Kind wütet, beißt, schlägt, zwickt
- Dein Kind will sich einfach nicht anziehen und ihr müsst los
- Dein Kind redet rein – immer dann, wenn du dich mit deiner/m Partner/in unterhältst
- Dein Kind antwortet dir nicht auf deine Frage
- Deine Kind reißt seinem Geschwisterlichen das Spielzeug auf der Hand
Und dann, irgendwann passiert es: Du spürst die Wut in dir:
„Jetzt ist Schluss. Bis hier hin und nicht weiter. Das geht so nicht!“ Oder du hörst es, von den eigenen (Schwieger-)Eltern oder dem/der Partner/in: „Dem Kind muss man mal Grenzen setzen.“
Grenzen setzen – was für ein Thema. Doch was sind Grenzen überhaupt? Was ist damit gemeint, was wird assoziiert? Brauchen Kinder das wirklich? Und wie sieht es mit Erwachsene aus?
Ein Einblick – mit ersten Antworten.
Eine Definitionssache: Grenzen setzen
Die Kernfrage ist: Was meinen wir eigentlich mit „Grenzen“ und „Grenze setzen“?
Und wo ist der Unterschied zwischen „Kinder brauchen Grenzen“ zu der doch ganz klaren Tatsache, dass alle Menschen „Grenzen haben“?
Dass „Kinder Grenzen brauchen“ ist einer der ersten Sätze, die ich gehört habe, als ich Mutter wurde und implizierte folgendes:
- Kinder müssen zu sozialfähigen Menschen gemacht werden. „Man muss“ sie in ihrem Wirken und Fordern begrenzen, damit sie es endlich lernen
- Dabei steckt die Angst und Sorge dahinter: „Lass dir ja nicht auf der Nase herumtanzen. Du musst die Kontrolle behalten.“
Ich spüre regelrecht, wie mein Herz schneller schlägt, weil ich unterbewusst eben genau dies mit „Grenzen setzen“ verbinde: ein Machtgefälle, wenig Wertschätzung, Adultismus, Gehorsam, Strafe.
Grenzen setzen als Synonym für autoritäre Erziehung
Und genau das war es früher auch. Denn „Grenzen setzen“ war und ist eine Begründung von Handlungen in autoritäre Erziehungsstile, in der Eltern wenig auf die (physischen wie psychischen) Bedürfnisse der Kinder eingehen und sie gleichzeitig wie kleine Erwachsene behandeln und dementsprechend (nicht kind- und entwicklungsgerechte) Forderungen und Erwartungen an sie gestellt werden (die sie eben oft nicht erfüllen konnten!).
Wenn Kinder dann nicht der Vorstellung entsprachen, die Erwartungen nicht erfüllten, haben Erwachsene ihnen gezeigt „wo es lang geht“. Das (nicht-tolerierbare) Verhalten wurde geahndet, Gehorsam erzwungen.
„Grenzen“ waren damit der Nährboden für Gewalt im Umgang mit Kindern in all seinen Facetten: physische Bestrafung, verbale Beschämung, Belehrungen, Urteile.
Ja, „Grenzen setzen“ kann unter diesem Blickwinkel als Synonym für autoritäre Führung verstanden werden.
Tenor: „So nicht. Das macht man nicht! Und wenn du es nächstes Mal noch mal wagst, dann spüre und wisse, was dir blüht.“
Dass diese Art der „Führung“ mehr Schaden hat als Nutzen, hat sich in zahlreichen Untersuchungen über Jahrzehnte hinweg gezeigt: Kinder von autoritären Erziehungsstilen sind unsicher gebunden, haben beständig Angst um Liebesentzug und fühlen sich beständig „falsch“ – ihr Selbstwertgefühl leidet immens, ein Leben lang.
Der Wandel vom „man macht das nicht“ zum „ich will das nicht“
Denn das „man“ und „das macht ‚man‘ nicht!“, das dir oder bei der „Grenzziehung“ der Großeltern da gegebenenfalls auf den Lippen liegt, ist ein Zeichen für moralische Urteile, die kulturbedingt (und das ist wichtig) und über Generationen hinweg als solche geprägt wurden.
„Man“ als allgemeingültiges Gesetz, eine Verallgemeinerung, die alle betrifft – und heute einer neuen Prüfung bedarf.
Unsere (Ur-Groß-)Eltern, also die Generation der Nachkriegsjahre, (er-)lebten andere Werte als heute: Während Anpassung, Ein- und Unterordnung vorrangig war, kam es in den letzten Jahrzehnten viel mehr zur Selbstbestimmung, persönlicher Entfaltung und Individualisierung.
Die Wertordnung hat sich also über die Jahre gewandelt, was automatisch eine andere Haltung, die Art des Miteinanders als auch die „Erziehung“ mit sich bringt.
Und gerade deshalb ist es für Eltern so schwierig „Grenzen zu setzen“, im Sinne von Konflikte zu lösen abseits von autoritärer Macht, sondern durch persönliche Autorität. Indem sie kundtun, was ihnen wichtig ist – basierend auf Bedürfnissen und Werten.
Ja, ein Miteinander ohne Bestrafung ist möglich, jedoch gibt es dafür (noch) zu wenig Vorbilder, grundsätzlich für „Erziehung“ bzw. darüber, wie wir gleichwürdig in Beziehung leben, keine Patentrezepte. Es bleibt ein gemeinsames Wachsen am Leben und Miteinander – und das bedingt ein häufiges Scheitern, Fehler machen, lernen.
Gewaltfreie Konfliktlösung
Dabei stehen (bedingungslose) Liebe und Grenzen im Sinne von „die Wahrung eigener Bedürfnisse und Werte“ nicht im Gegensatz zueinander!
Ja, Liebesbeziehungen können ohne Grenzen gar nicht existieren. Und ohne die Überschreitung von (persönliche) Grenzen hätten wir keine Konflikte, die uns widerum darauf hinweisen, dass wir Bedürnisse und Werte haben, die wir schützen möchten.
Konflikte entstehen, weil eine Grenzüberschreitung stattfinden, zwangsläufig.
Es ist demnach nicht notwendig, Grenzen „fiktiv“ zu setzen (also eine Art von „Regeln“ auferlegen), in dem Erwachsen konkret Kinder sanktionieren und deren Bedürfnisse unterordnen zugunsten der Eigenen.
Grenzen sind automatisch dort, wo sich Menschen begegnen. Auch Kinder artikulieren ihre Grenzen, nämlich die Wahrung ihrer Autonomie, Würde und Integrität spätestens mit Beginn der Autonomiephase.
Wahrung der persönlichen Grenzen
Für mich fühlt es sich viel stimmiger an, statt von „Grenzen setzen“ zu sprechen, kommunikativ den Fokus zu setzen auf „Grenzen wahren“.
Sobald wir dazu bereit sind – denn ich wahre dann auch die Grenzen des anderen! – begeben wir uns auf den Weg einer bedürfnisorientierten, gleichwürdigen Eltern-Kind-Beziehung. Ich respektiere dann den Anderen, seine Bedürfnisse und auch sein „Nein“.
Um persönliche Grenzen wahren zu können, braucht es jedoch zuallererst ein Bewusstheit über die eigenen Bedürfnisse und die Sicherheit, sich diese individuellen Bedürfnisse haben zu dürfen – und dafür einzustehen.
In der Beziehung mit Kindern ist das, je kleiner die Kinder sind, herausfordernder, weil sie aufgrund ihrer Entwicklung und Abhängigkeit intensiv an ihre Eltern gebunden sind, weshalb die Eltern ihre eigenen Bedürfnisse (primär nach Autonomie) lange Zeit zurückstecken.
Kinder wahren ihre Grenzen deutlich
Wie so oft können Erwachsene sich wahnsinnig viel von Kinder abschauen. Kinder spüren sehr schnell, wenn ihre Grenzen übertreten werden und wissen diese zu beschützen – in der Regel geht es ihnen um die Wahrung von Würde, Autonomie und Integrität. (Und, Hand auf’s Herz, Erwachsenen auch!)
Du erlebst deine Grenzüberschreitung bei deinem Kind spätestens in der Autonomiephase, in denen dein Kind mit „nein“s um sich wirft – und dir damit deutlich macht, dass du seine Grenze übertreten hast.
Statt nun „Grenzen zusetzen“ im autoritären Sinne, geht es dann viel mehr um die Konfliktlösung. Um’s gesehen werden – um Wertschätzung!
5 Elemente der gewaltfreien Konfliktlösung
Zu Konflikten kommt es also automatisch dann, wenn Bedürfnisse kollidiere – und das ist individuell. Jede Familie ist ganz besonders, anders, hat bestimmte Werte, an denen sich die Kinder orientieren können – und die Wahrung dieser Werte Orientierung und Halt geben!
Wenn Eltern ihre Grenzen wahren und kommunizieren, gibt es dem Kind Halt, Orientierung und Sicherheit in seiner Entwicklung.
Im Rahmen meiner Arbeit mit Klientinnen geht es schließlich darum, gewaltfrei Konflikte zu lösen. Das kann erst dann geschehen, wenn ich mich vom autoritären Erziehungsbild trenne, in dem „Grenzen setzen“ gleichbedeutend ist mit „meine Bedürfnisse, Regeln, Ideen haben Vorrang vor deinen“.
Und hier wird auch deutlich, dass es eben nicht um die Polarität geht in der Erziehung
- Autoritäre Erziehung: Eltern bestimmen über die Bedürfnisse
- Anti-autoritäre Erziehung: Kinder bestimmen über die Bedürfnisse
sondern eben genau um die Mitte: Die Konflitklösung unter Wahrung beider Interessen, beider Bedürfnisse. Dazu braucht es 5 elementare Bausteine:
- Klarheit, über die eigenen, persönlichen Grenzen, d.h. Werte und Bedürfnisse, an denen Eltern ihr Handeln ausrichten
- Bewusstsein, über die Entwicklung des Kindes, die Beziehung zueinander, die vorliegenden Bedürfnisse
- Entschlusskraft, sich bewusst in einen Konflikt zu begeben ohne den anderen dabei zu beschämen; gewillt zu sein, aufeinander zu zugehen und nach Lösungen zu suchen, die unabhängig sind von der Lieblingsstrategie
- Verbundenheit, d.h. den anderen ebenso wahrnehme, respektiere, wertschätze mit seinen Anliegen, ihm/ihr aktiv zuhöre, begründe statt „starr“ zu beharren
- und Geduld und Gelassenheit, darüber, dass die Lösungsfindung ein Prozess ist
Und schließlich die Fähigkeit, all dies gewaltfrei zu kommunizieren – mit „Ich-Botschaften“.
Aber ist Begrenzung von Handeln nicht ab und an notwendig?
Begrenzung findet statt, sobald unser Gegenüber mit seinem „Nein“ begrenzt und dadurch die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse mit dieser bestimmten Strategie einengt. Es muss dann zwangsläufig zu einem Konflikt führen.
Ja, es gibt eindeutig diese Momente, in denen es notwendig ist, das Kind in seinem Handeln unmittelbar zu begrenzen, wortwörtlich einzuengen, zu beschränken und es dabei oder spätenstens im Nachgang empathisch zu begleiten!
Dies ist nowendig, wenn…
- Kinder sich selbst gefährden, Schaden zuführen
- Kinder andere gefährden, Schaden zuführen
Für diese Situationen, in denen Handeln direkt unterbunden wird und schützende Macht ausgeübt werden muss, passiert die Arbeit im Nachgang: Nämlich der Suche nach dem „Warum“.
Fazit
Grenzen sind, wo sich Menschen begegnen. Sie sind ganz individueller Art, entstehen aus der jeweiligen Persönlichkeit, des Temperamentes, der Wertevorstellung und familiärer Hintergründe.
In jeder Beziehung ist es ausschlaggeben, die eigenen, persönlichen Grenzen zu wahren und auch kommunizieren zu lernen – ein lebenslanger Prozess, der im Miteinander und durch Beziehung stattfindet.
Konflikte finden also statt, wo Grenzen, d.h. die persönlichen Werte und Bedürfnisse geschützt werden möchten.
Kinder können das von Grund auf, in dem sie klar „nein“ sagen.
Wenn du mehr über das „nein“ erfahren möchtest, dann hol dir gerne hier mein kostenfreies Video, in dem ich im Detail darauf eingehe.
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