#Kommunikation #beziehung

Dich, dein Kind und den Momente verstehen

von Manuela

Warum Vorwürfe, Belehrungen und Urteile schaden

Es geht so schnell. Innerhalb von Sekunden haben wir uns oder unser Kind verurteilt. Innerhalb von Sekunden haben wir unser Kind belehrt, klar gemacht, was es wie zu tun (gehabt) hätte. Innerhalb von Sekunden werfen wir mit Vorwürfen, machen uns klein und schlecht.
Genau deswegen ist es so wichtig aus diesen Moment zu lernen und einzelnen Augenblicke zu verstehen, um es nächstes Mal besser machen zu können.

Momente verstehen

Wir, meine beiden Töchter und ich, sind unterwegs zu einem Schülerkonzert, das in einer Schulhalle stattfindet. Mir war bereits vorab klar, dass wir dort nicht lange bleiben und zuhören würden. So war es auch: Wir saßen – meine beiden Kinder auf mir- 15 Minuten im Publikum, dann machten meine Töchter klar: „Mama, wir können nicht mehr.“

Meine große Tochter, damals 3 Jahre, musste ihre Energie irgendwie los werden: All die Anspannung vom „zuschauen“ und „zuhören“ des Schülerkonzerts, die vielen Eindrücke, Gerüche, Menschenmassen verarbeiten. Meine kleine Tochter hielt sich eng an mir fest.

Wie gut, dass es im Schulhof einen Spielplatz gab. Es ist Winter und hatte etwa 5 Grad. Bereits um 16 Uhr war es dämmrig. Die Spielgeräte waren teilweise nass. Nur die Schaukel war trocken.

Kaum hatte meine Tochter die Rutsche entdeckt, wollte sie dort hin.

Kindliches Bedürfnis nach Selbstbestimmung und -erfahrung

„Oh weh, die Rutsche ist nass. Wenn du da rutschst, dann wird dein Rock und die Leggings nass,“ sagte ich.

„Ich will aber.“

„Ich verstehe dich, dass du rutschen magst.Ich habe nur keine Wechselklamotten für dich dabei und du hast keine wasserdichte Hose an. Deine Klamotten werden dann auf jeden Fall nass.“ 

„Ich habe eine Idee, wie ich rutschen kann.“
Sie setzt an und versucht auf den Schuhen stehend zu rutschen, blieb jedoch mit den Schuhen hängen. Deshalb setzte sich auf die nasse Rutsche und rutschte. Ich registrierte es noch, vergaß es aber dann die nächsten Minuten.

Kaum unten fing sie an zu weinen. Ihr Plan ging nicht auf.

Die Warum-Frage ist ein Urteil, das übersetzt bedeutet: „Mir gefällt das nicht.“

„Wäääääh!! Naaaassss!!! ICH MAG DAS NICHT !!! AAAUSSSZIIIEHEN!!!!!!! WÄÄÄH!!“
schrie sie weinend. Der Wind wehte, wir froren. Ich spüre, wie die Wut in mir hoch kam. Ich wusste es ja besser…warum hörte sie denn nicht einfach auf mich? Vertraut sie mir wohl nicht? Bin ich nicht gut genug als Mama?
Meine Fragen nagten an mir.

Und schon lief das alte Programm

Blitzartig, ohne wirklich nachzudenken, beginnt mein altes Sprachmusterprogramm automatisch zu laufen, obwohl ich diese doch zu tiefst ablehnte. Der Druck, der in mir aufstieg, hemmte mich klar zu denken, zu beobachten, zu verstehen. Stattdessen sah ich, beurteilte und interpretierte ich ihr Verhalten, spührte da Gefühle in mir und war schon lange im „fight or flight“-Modus, kurz vor der Explosion:

„ICH HAB’S DIR DOCH GESAGT! WARUM BIST DU GERUTSCHT?????? ICH. HABS. DIR. DOCH. GESAGT!!!!!! DIE – RUTSCHE – IST – NASS!!! … Man ey, ich verstehe es nicht, warum bist du denn jetzt doch gerutscht???“

Während ich damals meinen Frust wie einen Eimer Wasser über meine Tochter schüttet, machte ich die Situation damit für uns alle nur noch schlimmer: Erst fand ich sie ganz und gar nicht ok, nach meiner Schimpftirade fand ich mich unmöglich und zweifelte an meinem Mama-sein…

Auswirkung von Vorwürfen, Belehrungen, Urteilen

Denn meine indirekten Vorwürfe, meine Belehrung (‚ich habs dir doch gesagt‘) und mein Urteil (‚Warum-Frage) waren absolut destruktiv:

➡️ Kinder fühlen sich dadurch für den emotionalen Ausbruch der Eltern schuldig.

➡️ Kinder fühlen sich zurückgewiesen oder sogar ungebliebt, wenn sie die Botschaft erreicht, dass sei „zu dumm sind“ etwas zu tun.

➡️ Beim Kind kommt an: „Du kannst mich so, wie es mir gerade geht, nicht annehmen. Du nimmst mich nicht ernst, Mama“ oder „Du hältst meine Empfindungen, meinen Frust, meine Trauer, dass meine Lösung nicht geklappt hat, nicht für sehr wichtig“

➡️ Vorwürfe derart schaden ihrem Selbstbild und der Selbstachtung.
Beim Kind entsteht das Gefühl von Unzulänglichkeit, Inferiorität, es fühlt sich schlecht und „selbst schuldig“

➡️ Belehrungen drängen Kinder in die Defensive und entmutigen.
Beim Kind kommt an: „Du traust mir nicht zu, dass ich eine Lösung für das Problem hätte finden können.“

➡️ Und noch viel mehr: Die „Warum hast du das gemacht?“-Frage ist nichts weiter als ein rhetorische Frage, deren Antwort ich bereits kenne. Die Frage selbst ist also keine Frage, sondern ein Urteil, die übersetzt heißt: „Mir gefällt das nicht. Ich mag das nicht. Ich weiß/wusste es besser als du!“

Warum-Fragen sind stets in die Vergangenheit gerichtet. Sie lösen keine Probleme. Wohingegen „Wie“-Fragen genau das tun – sie sind in die Zukunft gerichtet und suchen Lösungen.

Kommunikationssperren sind unwillkürliche Reaktion

Was ich hier damals erlebte, war ein unwillkürliches, bewusst erlebtes Verhalten meinerseits. Mein verbaler Wasserfall verletzte immens meine Tochter, mich selbst und meine eigenen Werte – nämlich respektvoll, achtsam und in einem verträglichen Ton mit Menschen umzugehen. Stattdessen warf ich mit Worten und Sätzen um mich, die keinerlei (Ver-)bindung aufbauen konnten.

Auslöser erkennen

Es gibt abertausende Momente, die „triggern“können. Ein Trigger kann z.B. eine Situation, ein Geruch, ein Moment, eine Farbe, ein Verhalten sein und belebt auf Gefühlsebene einen schmerzlichen Augenblick aus der Vergangenheit (!).
Der Trigger ist der „Auslöser“ für die Reaktion im Jetzt.

Die Ursache unserer Gefühle liegt nicht im Außen. Das Außen ist der Anlass. Die Ursache liegt in unseren Urteilen. (Marshall Rosenberg)

Mich triggerte diese Situation,

1. weil ich mich so hilflos fühlte, an diesem Tag heillos überfordert war.

Bereits morgens war mir alles „zu viel“. Die Veranstaltung und der damit „rettende“ Tagesevent war meine Hoffnung auf Sozialkontakte, Miteinander und Abwechslung.
Es war unser erster derartige musikalische Ausflug und ich merkte schnell, dass es keine gute Idee war. Es war zu laut, zu viel los, die Kinder hingen an mir – ich war eingeengt. Den Event zu verlassen und abzubrechen war sinnvoll – und doch war ich frustriert.

2. weil meine Hilflosigkeit mit meinen eigenen zu hohe Anforderungen an mich zusammen hingen

Ich war wütend auf mich selbst, ich ärgerte mich, weil ich keine Wechselklamotten dabei hatte wie sonst. Mit diesem Frust verurteilte ich mich selbst. Statt mich anzunehmen „nicht perfekt zu sein“, verurteilte ich mich als „unfähig“. Und gleichzeitig machte ich meine Tochter für meinen Schmerz verantwortlich:
Ich schickte ihr die Botschaft: „Weil DU gerutschst bist / Wegen dir, habe ich es jetzt schwer!“
Ich hatte in diesem Moment nicht die Verantwortung für mich und meine eigenen Gefühle und Bedürfnisse getragen.

3. weil mein Bedürfniss nach Leichtigkeit und Unterstützung schon lange nicht mehr erfüllt wurde

Das Ergebnis meines Triggers waren Worte und Aussagen, die ich selbst im Rahmen meiner Erziehung erlebt und in mir gespeichert hatte.

Veränderung ist möglich

Meine große Tochter weinte – und die Kleine aus Solidarität mit. Im Auto zog sie sich dann aus und ich hielt sie mit meinem Wintermantel warm. Wir fuhren nach Hause.
Ich war traurig und bedauerte meinen Ausbruch sehr.

Im Auto erklärte meine Tochter, dass sie auf den Schuhen rutschen wollte, so, wie sie es bei Papa gesehen hatte. Da fiel es mir wieder ein – ja, das hatte ich ja beobachtet! Aber sie konnte nicht. Die Schuhe blieben hängen und sie hat es mit der Angst zu tun bekommen, also hatte sie sich hingesetzt. Wie klug von ihr.

Ich schämte mich und wusste gleichzeitig, dass Veränderung meines unwillkürlichen Musters möglich ist. Dass ich sie zwar nie löschen, aber ein neues Muster in mein Gehirn aufspielen könnte.
Mit Übung. Mit viel Übung. Mit verdammt viel Übung.

Lernen und gemeinsam Wachsen

Mein Umgang mit der Wut hat sich in den letzten Jahren stark verändert.

Ich möchte dir Mut machen, denn das kannst du auch lernen.

Und zwar dann, wenn

  • du dir bewusst wirst, welches unerfüllte Bedürfnis hinter deinem Frust, deiner Wut, deinem Ärger steckt und dich rechtzeitig bereits präventiv um dich sorgst.
  • du im „Moment“ Inne hältest, deinen Ärger fühlst und zuerst einfach mal durchatmest („RUHE“ ausatmen)
  • du dein Kind in den Arm nimmst
  • du überlegst: Was hast du gesehen, gehört, gerochen? Was wünschst du dir für dein Kind? Und ist das, was du jetzt sagen müsstet, hilfreich für dieses Ziel?
  • du dir immer wieder klar wirst: Kinder kooperieren immer. 

Ein ganz elementarer Schritt jedoch, um sich selbst wieder näher zu kommen und Veränderung im Leben und an sich zuzulassen, ist jedoch die Frage.

Was hätte ich als Kind jetzt gebraucht?

Gemeinsam wachsen

In der Beziehung mit und zum Kind geht es vor allem darum, dass wir gemeinsam wachsen, das heißt aus dem Konflikt heraus uns selbst und unser Kind zu entdecken.

Oft drehen wir uns dabei im Kreis, sehen die Lösung nicht und wissen vor allem nicht, warum wir mit Wut reagieren. Für mehr Verbindung, achtsame Worte und vor allem ein gleichwürdiges Miteinander begleite ich dich in meinem Mentoring-Programm „Gemeinsam wachsen: Von der Wut zur respekt- und liebevollen Eltern-Kind-Beziehung.“

Wenn du mehr darüber erfahren magst, dann komm direkt hier auf die Warteliste.

Weiterführende Literatur 

Hahn, Britta (2010): Mama, warum schreist du so laut? Wut in Gelassenheit verwandeln. Paderborn: Junfermann Verlag.

Gordon, Thomas (2012): Familienkonferenz. Die Lösung von Konflikten zwischen Eltern und Kind. München: Heyne.

Rosenberg, Marshall (2001): Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens. Paderborn: Jungmann.