Alltag

Übergänge verstehen und achtsam begleiten

von Manuela

Wie Strukturen helfen können, Übergänge achtsam zu begleiten

Ihr seid bei Freunden und irgendwann wollt ihr nach Hause. Du bist schon müde, die Kinder auch und am nächsten Morgen um 6 Uhr schellt der Wecker. Halleluja.

„Los geht’s. Wir fahren nach Hause.“
Dir schallt nur ein klares „NEIN!“ entgegen. Wenn überhaupt.

Dein Kind spielt ausgelassen und du beschließt, dass es jetzt spät ist.
„Es ist Bettizeit! Los, ab ins Bad und fertig machen.“ (Mehr darüber erfährst du in einem extra Blogbeitrag!)

Und auch hier: Dir schallt nur ein klares „NEIN!“ entgegen. Wenn überhaupt.

Oder auch der Alltagsklassiker: Du willst loskommen in der früh und dein Kind zieht sich nicht an.
Anziehen, Frühstücken, Zähne putzen und du kannst nicht anders, als den „Reintreiber“ zu spielen:

„Hopp jetzt. Anziehen. Wo sind die Schuhe? Looohooos! Wir müssen gehen! Der Kindergarten und die Schule fangen bald an. Du weißt doch, dass wir immer noch im Stau stehen. Jetzt hör auf rumzutrödeln….Mach dich fertig. Hast du die Tasche schon gepackt? Immernoch nicht! Man ey! Jetzt pack die Tasche und zieh die Schuhe an.“

Und wieder: Dir schallt nur ein klares „NEIN!“ entgegen. Wenn überhaupt.

Was sind das alles für Situationen? Und warum haben diese Momente so ein hohes Konfliktpotential? Warum fällt es Kinder so schwer eine Situation loszulassen und in eine andere zu wechseln und fängt an zu wüten? Und wie können wir diese Momente so gestalten, dass sie leichter „flutschen“?

Das fragten mich Verena und Birthe von den Leuchtturm Eltern.

In unserem gemeinsamen Interview sprachen wir ‚Übergänge‘ – und darum, wie wir Übergänge achtsam begleiten können.

Übergänge verstehen

Übergänge sind all die Situationen, in denen wir Altes, Bekanntes los- und uns auf etwas Neues (vielleicht Unbekanntes) einlassen.

Tatsächlich sind Übergänge alltäglich und kommen so gut wie ständig vor: Und zwar banal gesagt immer dann, wenn du eine Aktion loslässt, um mit einer Neuen zu beginnen. Das sind kleinere (Mikro-)Übergänge.

Es gibt aber auch Übergänge, die mit großen Veränderungen einher gehen können und deshalb eine ganze Portion Mut, Frustrationstoleranz und auch achtsame Begleitung benötigen.

Große, sogenannte Makroübergängen sind besonders herausfordernd.
Dazu gehören zum Beispiel:

  • Der Eintritt in eine neue Einrichtung
  • Der Übertritt für Kinder von einer Einrichtung in eine neue Einrichtung (z.B. Kindergarten in die Schule)
  • Ein Umzug (und damit der Verlust des bekannten sozio-kulturellen Umfelds)
  • Eine neue Lebenssituation (z.B. Scheidung der Eltern mit entsprechenden Veränderungen)

Transitionen sind Lebensereignisse, die Bewältigung von Diskontinuitäten auf mehreren Ebenen erfordern, Prozesse beschleunigten und intensivierten Lernens anregen und als bedeutsame biografische Erfahrungen von Wandel in der Identitätsentwicklung wahrgenommen werden. (Griebel)

Warum bieten Übergänge so ein hohes Konfliktpotential?

Die Frage ist im Grunde so schnell und einfach beantwortet:

  1. Weil wir Eltern keine Zeit haben bzw. uns keine Zeit nehmen
  2. Weil wir Eltern eine Vorstellung davon haben, wann und wie unser Kind etwas „erledigen“ soll. (Wenn du mehr über Objektivierung in der Erziehung und eine Subjekt-Subjekt-Beziehung lesen willst, dann hier lang.)

Zeitstress und Zeitdruck sind die Killer

In allen Situationen sitzt uns Eltern die Zeit im Nacken. Wir „müssen“ los, weil wir sonst zu spät kommen. Egal wohin.
Hauptakteur in unserem Familienalltag ist in einer Tour Zeitdruck und damit verbundener Dysstress (negativer Stress): Das Alarmsystem im Körper wird aktiviert. Wir schütten dabei eine Reihe an Stresshormone aus, unter anderem (Nor-)Adrenalin und Cortisol. Das Herz fängt an zu rasen, der Blutdruck steigt, die Muskulatur wird besser versorgt. Unser ganzer Körper ist bereit „zu kämpfen und zu verteidigen.“

Gerade bei Zeitdruck (gepaart mit unseren persönlichen Glaubenssätzen, Gedanken, Erfahrungen und Ängsten) fährt da gerne mal das Stress- und Alarmsystem hoch – als ob wir bedroht wären. 

Wir sind dann kurz vorm Ausflippen und benötigen Strategien, nicht ganz durchzudrehen.

Wir Eltern haben ein Verständnis von Zeit

Was den Zeitdruck also angeht wird klar:

  • Wir wissen ungefähr, was es bedeutet, „im Stau“ zu stehen.
  • Wir wissen, dass wir „20 Minuten brauchen“ und nur noch „10 Minuten“ haben, bis…
  • Wir können abschätzen, dass unser Kind, wenn es weiter selbst versucht die Schuhe zu binden, 30 Sekunden dafür benötigt (die sich aber dann doch anfühlen wie 10 Minuten).
  • Wir haben bei „Ich komm gleich“  ein bestimmtes Zeitvolumen im Gefühl und wissen was „schnell“ und „beeilen“ bedeutet (für uns, in unserem Verständnis und unserer Wahrnehmung!)

Das Verständnis von Zeit für Kinder

Und unsere Kinder? Kinder haben erst mal kein Verständnis über Zeit und Geschwindkeit.
Meinen beiden Töchtern ist sowohl Zeit als auch der Zusammenhang mit „Strecke“ und „Geschwindigkeit“ ein riesiges böhmisches Dorf.

Dass etwas schnell fahrendes, zeitlich „schneller“ an einem Ort ist als etwas, das langsamer fährt – ist hier noch gar nicht im klar.
Wenn ich also hektisch um „schneller“ bitte, beeilen sie sich, weil sie kooperieren – und nicht, weil sie um die Dringlichkeit wissen.

Dass wir also, wenn wir „uns beeilen“ schneller irgendwo sind – das ist nicht wirklich verstanden!
WEIL genau das ein kognitiver Reifeprozess ist, der zu dem viel Erfahrung benötigt.

Achtsame Begleitung von Übergängen ohne Zeitdruck
Machtkämpfe zwischen Kind und Eltern

Erwartungen an das Kind

Ein großer Aspekt, weshalb Übergänge oft begleitet werden von kindlichen Wutanfällen, gezeichnet durch die Hilflosigkeit und Überforderung von uns Eltern (sprachliche und situative Beispiele findest du hier und hier), sind die zu hohen Anforderungen und Erwartungen an das Kind.

  • Wir Eltern wollen jetzt , dass das Kind sich anzieht und mitkommt.
  • Wir wollen sofort, dass es seine Aktion sein lässt und eigenständig die Neue (mit uns) beginnt
  • Wir wollen, dass das Kind uns gehorcht und tut, was wir sagen (Anm.: Das ist der Grundgedanke von Erziehung!) – schließlich sind wir die Eltern.

Dabei negieren wir zum Beispiel die Gefühle – kommt dir das bekannt vor?

Und wie kann ich nun Übergänge konkret achtsam begleiten?

Höre ich dich fragen. Ja, Übergänge achtsam zu begleiten ist nicht einfach. Es erfordert in jedem Fall Geduld (und gerade keinen Zeitdruck und Stress), Einfühlungsvermögen für dein Kind, achtsames Hinspüren auf deine Bedürfnisse und die deines Kindes sowie die Fähigkeit zuzuhören.

Außerdem können dir Routinen und Strukturen helfen, Übergänge für das Kind fließender zu gestalten.

Wie Strukturen bei Übergängen helfen

Wir Menschen benötigen Strukturen, Routinen und Gewohnheiten, um unseren Alltag (leichter) zu gestalten. Denn unser Gehirn ist so gestaltet, dass wir (im Überlebensmodus) so wenig Energie wie möglich verbrauchen – und dadurch „lange leben“. Strukturen, Gewohnheiten und Routinen helfen uns dabei.

Es ist faktisch unvorstellbar ohne gewisse Routinen auszukommen. Ehrlich, wir würden alle verrückt werden.
Denk nur mal daran:

  • Wo du die Butter im Kühlschrank hinstellst
  • Wohin du dich drehst, wenn du in der Dusche zur Seifen willst
  • In welcher Jackentasche dein Schlüssel ist (und wie schnell du in die Schnappatmnung kommst, wenn du ihn da nicht findest!)

All diese Aspekte sind dienlich, um das Leben nicht jeden Tag neu erfinden zu müssen und sich dadurch wichtigen Dingen, Entscheidungen, Gedankenvorgängen widmen zu können.

  1. Da Kinder noch nicht in der Lage diese Art von Strukturen und Gewohnheiten alleine aufzubauen. Gleichzeitig benötigen sie aber Beständigkeit und Voraussagbarkeit, um sich sicher zu fühlen. Deshalb brauchen sie uns als achtsame Begleiter.
  2. Routinen und Strukturen reduzieren also sowohl für Kinder als auch uns Eltern Stress (also die Ausschüttung von Cortisol), da wir wissen, „was auf uns zukommt“. 
  3. Strukturen helfen ein Verständnis für Zeit zu entwickeln

Wenn wir als Eltern also Übergänge vorbereiten und Weichen stellen können, ermöglichen wir dem Kind dabei, die eigene Resilienz zu stärken und sich dabei voller Vertrauen auf zu machen, unbekanntes Terrain zu erkunden.