Beziehung

10 Aspekte, was 'lernen' wirklich bedeutet

von Manuela

Lernen ist mehr als pauken

„Guck mal Mama, schwer!“ Ich beobachte meine Tochter, wie sie im Sandkasten spielt. Der Sand ist noch schwer, triefend nass, wir haben sogar noch richtige Wasserpfützen darin. Das macht aber gar nichts, im Gegenteil: Meine Tochter baut einen See, dann zwei, schaufelt den Sand hin und her und verbindet dann zufällig die Seen miteinander. Das Wasser fließt von einem See in den anderen. „Ui Mama schau!“ sagt sie. „Schau mal Wasser! Mehr Wasser! Schau!“ Sie spielt ganz vertieft mit dem Sand, balanciert ganze Schaufeln davon, damit sie einen Lastwagen damit beladen kann. Zwischendrin bekomme ich ein Eis, ein Sandeis natürlich.

Hattest du auch schonmal das Gefühl, dass du durch deine Kinder die Welt wieder mit anderen Augen sehen lernst? Dass es manchmal möglich ist, dich wieder auf den Moment einzulassen und ganz kleine Wunder zu bestaunen? Erinnerst du dich noch daran, wie magisch Seifenblasen auf dich wirkten als du klein warst? Wie sich Knete in deinen kleinen Fingern formte (oder sogar roch), oder wie schön es war in Pfützen zu springen?

Du fragst dich, wie Kinder lernen? Genauso.

In diesem Blogartikel geht es um die Komplexität des Lernens.

Lernen ist ein hochkomplexer Vorgang im Gehirn

Lernen ist ein hochkomplexer, neurowissenschaftlicher Prozess. Wir lernen nicht, wenn wir uns hinsetzen und unter Druck Wissen in unseren Kopf hämmern ‚sollen‚. Das geht zwar (aus anderen Gründen), aber nur sehr zäh, mit wenig Begeisterung (mehr dazu unten) und am Ende wird das Erlernte schnell wieder vergessen.
Lernen auf diese Art und Weise ist nichts weiter als pauken. Rein damit und raus damit.

Es ist nichts, was uns für immer als Erkenntnis bleibt.
Lernen ist also also viel viel mehr.

Lernen bedeutet leben mit allen Sinnen

Wenn wir etwas lernen, dann sind dabei unzählige kleine Einzelerlebnisse mit einem tiefen Erlebnis verbunden. Erst wenn das Lernen in ein komplexes Erleben eingebunden ist, dann wird es kognitiv zu einer anhaltenden Erfahrung.

Nehmen wir das Fahrradfahren als Beispiel.

Lernen ist dann effektiv, wenn alle Systeme im Köper und im Gehirn für das Lernen eingesetzt werden. (M.Arnold)

  • Die Bewegung als solche: Was machen die Beine, die Arme?
  • Körperempfindung: wo ist mein Gleichgewicht? Wie fühle ich mich?
  • Sehen: wo schaue ich hin, damit stabil stehen kann?
  • Beziehung: wer ist mit dabei? Fühle ich. mich siher?
  • Stimmung: wie ist der Moment, die Situation als solche?
  • Erinnerungen: hab ich „Fahrrad fahren“ schon einmal gesehen oder erlebt?

Wir lernen mit allen Sinnen, sammeln Erfahrungen – die uns antreiben, weiter zu entdecken.

Mädchen schaukelt

Lernen bedeutet Fehler machen

Hast du dich schonmal sagen hören: „Ach, es ist besser, wenn ich das mache“? oder „Zeig mal deinem Bruder, wie das geht?“

Eine Mama aus meine Programm „Gemeinsam wachsen“ berichtet von so einer Situation, in der ihr Sohn (2) am Tisch alles selbst nehmen will. Er kann ‚es‘ aber noch nicht so gut und kleckert dadurch viel auf den Tisch.

Wir lernen den ganzen Tag durch Ausprobieren, Testen, trial and error – und das ist entwicklungsbedingt.

Je nach Alter verfolgen Kinder gar kein Ziel, sondern genießen das ausprobieren. Und genau das ist das Geheimnis.
Halte dein Kind nicht zurück, weil DU ängstlich bist. Damit meine ich nicht, dass du dein Kind auf die Straße rennen lassen sollst. Aber wenn es auf dem Nachhauseweg balancieren will, sag nicht: „Du tust dir nur weh“, sondern sage: „Ja, probiere es aus! Brauchst du meine Hand?“.

Lernen bedeutet Vertrauen schenken

Und schon sind wir beim gegenseitigen Vertrauen, der Basis für menschliche Beziehungen.

Sich aufeinander verlassen können ist ein zentraler Wert in allen menschlichen Beziehungen. (Verena Kast)

Wie ist das eigentlich mit dem Vertrauen?

Stell dir vor, du hörst als Kind diesen Satz: „Du kannst das doch eh nicht“ oder „Du kannst das noch nicht, dafür bist du zu klein.“

Es ist ganz schön schwierig sich dann selbst als kompetent, tüchtig und mutig zu fühlen, wenn man von Menschen umgeben ist, die vielleicht das Gegenteil denken oder zumindest sagen. Wir vermitteln dann die Botschaft: „Ich traue es dir nicht zu. Ich glaube nicht, dass du das kannst, weil…“

Für Kinder ist es unendlich wichtig, dass sie Verantwortung übernehmen können und dürfen.

Sie können dadurch etwas zum Familienleben beitragen, ein Teil der sozialen Gemeinschaft sein.

Kinder lernen dadurch, dass sie wichtig sind. Sie werden gebraucht – und fühlen sich wertvoll. Außerdem wächst ihr Selbstvertrauen damit, dass wir Eltern es stärken. Durch unsere Worte, aber auch unsere Taten.

Lernen bedeutet in kleinen Schritten zu wachsen

„Schalt mal dein Hirn ein und merk dir das endlich“, sagte  die 6,5-jährige Freundin zu meiner Tochter. Den Satz, den das Mädchen vermutlich selbst einmal gehört hat, gibt sie nun an ihre Gleichaltrige weiter. Es ist zum Weinen und Lachen zu gleich, wäre nicht so viel Tragik in der Situation (die Ironie des Lebens, oder?). 

Ich bitte nicht um Wunder und Visionen, Herr, sondern um die Kraft für den Alltag. Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte. (de Saint-Exupéry)

Unser Gehirn „einschalten“ bedeutet vermutlich je nach Situation logisch oder vorausschauend zu planen. Verbindungen zwischen Fakten zu knüpfen.
Für Kinder (und Hand auf’s Herz – auch für genug Erwachsene) ist das nicht immer einfach: Das kindliche Gehirn ist bis Mitte 20 im Reifeprozess – und auch danach verändert es sich ständig.

Der Mensch lernt die ganze Zeit – das Gehirn ist toujours eingeschaltet. Im Fachjargon spricht man hier von der Neuroplastizität.
Da das Gehirn der Kinder aber noch im Entwicklungsprozess ist, sind Aspekte wie „Logik“oder vorausschauendes Denken auf Knopfdruck nicht möglich. All das sind kognitive Elemente, die sich über Jahre hinweg entwickeln.

Gleiches gilt im Übrigen auch für „Vernunft“. Ein „Jetzt gehen wir vernünftig über die Straße!“ ist gut meint, doch schwer verständlich für das Kind.

Denn „vernünftig sein“ bzw. Vernunft. Was ist das konkret?

Das ist das, was wir nicht ganz „bewusst“ und weniger rational, als wir glauben, einsetzen, um unser Handeln, unsere Entscheidungen abzuwägen, zu kontrollieren obwohl wir ganz andere Gefühle dazu haben

Vernünftig sein bedeutet in dieser Situation „unter Berücksichtigung der Gefahren, achtsam, vorsichtig, schnell, noch mal schauen, ob da links oder rechts was kommt“. Kurz: „Kein Quatsch auf der Straße.“

Diese Bedeutung lernen Kinder in kleinen Schritten. Sie müssen in der Wiederholung Verknüpfungen machen zwischen Situationen, Wörtern und Handlungen, um wirklich zu verstehen.

Lernen bedeutet geduldig sein

Es sind unzählichen Situationen im Alltag mit Kindern, die viele meiner Klientinnen und mich eingeschlossen echt fordern. Dann, möglicherweise bist du noch im Stress, wenn dein Kind

  • die Wasserflasche öffnen möchte und es nicht klappt
  • sich selbst anschnallen will und es nicht schafft
  • die Schuhe selbst binden will und scheitert
  • sich versehentlich ins Wasser setzt und hat einen nassen Po bekommt
  • sich bei den Hausaufgaben verrechnet hat

In vielen Fällen geht dir als Mama oder Papa die Geduld aus.

Und genau jetzt ist es an der Zeit, Zeit zu geben, um Zeit zu bekommen. (DAS ist eine Herausforderung)

Dabei sind folgende Sätze schwierig:

  • „Ach komm ey, stell dich nicht so an!“
  • „Das ist doch ganz einfach“
  • „Ist doch nicht so schlimm, reg dich nicht so auf.“

Genau jetzt ist es die Chance, dein Kind seine Erfahrung machen zu lassen und bei seinen starken Gefühlen zu begleiten.

Lernen ist entwicklungsbedingt

Jedes Kind durchläuft im Laufe seiner Zeit verschiedene Entwicklungsschritte. Dabei entstehen VerBINDUNGEN, Strategie und (Lösungs-)Muster im Gehirn – von ganz alleine, im Laufe der Zeit, eins nach dem anderen.

  • Ein Kind, das gerade laufen lernt, lernt nicht gleichzeitig sprechen.
  • Ein Kind, das sich gerade im Frust weint, von einer Gefühlswelle überrumpelt wird, kann nicht gleichzeitig sprechen und sagen, was es braucht.

Während ein*e Sechsjährige*r bereits verstanden hat, dass er/sie immer andere Gefühle und Bedürfnisse als sein Gegenüber haben kann, ist das einem*r Fünfjährige*n noch nicht unbedingt klar.

Wenn wir verstehen, welche einzelnen Entwicklungsschritte unsere Kinder in ihrem individuellen Tempo machen, fällt es uns Eltern auch leichter zu verstehen und mit unseren Kindern zu wachsen.

Lernen entsteht von Innen heraus

Der Prozess des Lernens funktioniert „aus sich selbst“ und nicht, wenn uns jemand zeigt, wie etwas geht und damit der Forschergeist, die eigene Gestaltungsfähigkeit und Kreativität für den Leistungsgedanken abgesprochen werden (oder das Geschwisterkind es besser kann, was zugleich Rivilität schürt).

Lernen funktioniert, wenn wir Kinder „einladen, ermutigen und inspirieren“ (Gerald Hüther) die Welt selbst zu erforschen.

Vor allem und ausschließlich nur dann, wenn wir selbst gewillt sind etwas zu erfahren! Wenn wir lernen, also verstehen wollen, weil uns etwas interessiert, von innen heraus (heißt: intrinsische Motivation), selbst gesteuert und kontrolliert – ohne Zwang. Erst wenn wir selbst die Dinge begreifen (gerne wortwörtlich!), erkunden, verstehen, erst dann können wir Dinge wertschätzen, visionieren, gestalten, verändern und verwirklichen.

Genau so tun es unsere Kinder. Sie folgen ihrer Natur, ihrem natürlichen Wissensdurst und befinden sich dann auch im „flow“.
Für uns Erwachsene ist das manchmal schwer zu begreifen, oder sogar schwierig auszuhalten, aus verschiedenen Gründen (eigene Bedürfnisse, Pläne, Ideen), z.B.

  • Wenn wir die Kinder zum Essen rufen und sie so sehr ins Spiel vertieft sind.
  • Wenn es Zeit ist rein zu gehen, aber die Burg oder der Graben noch nicht fertig gebaut sind.
  • Wenn uns gefühlt die vielen „Warum-Fragen“ erdrücken

Sie zeigen dir jedoch ganz wunderbar, wie groß das Interesse ist zu verstehen.

Lernen bedeutet begeistert sein

Begeisterung ist der Schlüssel für echtes Verstehen und langfristiges Lernen.

Beigeisterung entsteht bei der Sanderfahrung meiner Tochter im Beispiel von oben und auch, wenn mein Mann eine Kiste alter Spielsachen findet und aus dem Staunen nicht mehr raus kommt: „Boah schau mal! Mein Kranwagen! Ein Buggy mit Anhänger UND Motorrädern drauf! Ein Snowboard! Wahnsinn! So viele Ersatzteile!“

Lernen „funktioniert“ also über Gefühle – und diese stecken an!
Wenn ich als Beobachterin daneben stehe, sehe, wie er sicht freut, wenn er den Kranwagen hochhebt, seine Augen leuchten, dann freue ich mich nicht nur mit, sondern werde möglicherweise von der Tatsache mitbegeistert.

Vollkommen unterbewusst gehen dann verschiedene Prozesse in Gang. So lernt in diesem Moment z.B. unsere 3-jährige Tochter, die daneben steht, plötzlich ein neues Wort – „Kranwagen“ und bringt es in Verbindung mit der Freude ihres Papas.

Wenn wir begeistert bei der Sache sind – dann lernt ‚es‘ sich von ganz alleine.

Lernen bedeutet neugierig sein 

Hast du jemals die Aussage „Sei nicht so neugierig“ als Kind gehört oder gar deinem Kind gesagt? Dieser ist unglaublich kontraproduktiv, denn dadurch wird der kindliche und natürlicher Forscher- und Entdeckerdrang als „falsch“ und etwas schlechtes abgetan.

Neugier ist der Motor des Lebens! 

Die Neugier als solche führt zur Erkundung, diese zur Entdeckerfreude, die uns wiederum begeistert (und Spaß macht). Je mehr Freude und Spaß wir haben bei einer Sache, umso öfter mag ich mich damit beschäftigen.
Je mehr ich beschäftigte mit dieser Sache, die mich erfüllt, umso größer wird mein Können, meine Fähigkeiten, mein Selbstvertrauen, meine Sicherheit.

Lernen ist eben nicht einfach pauken.
Lernen ist viel viel viel komplexer.

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